Spieluhren
Es ist eine Geschichte über das Schwarzwälder Tüftlertum, wie sie schon in mancher Version dargestellt wurde. Wie einfache Uhrmacher dazu übergegangen sind, etwas zu schaffen, daß nahezu über die Grenze ihrer Genialität ging und den Rand ihrer Möglichkeiten erreichte. Die Uhr als solche, war einigen davon ganz einfach zu wenig, um ihren Erfinderreichtum zu befriedigen. So sind wir bei einem Thema, dessen Inhalt man gemessen an dem Stand der heutigen technischen Entwicklung, ehrlich bewundern darf.
Schauen wir erst einmal ein wenig in die Vergangenheit der ersten Versuche, im Schwarzwald Spieluhren herzustellen. Adolf Kistner berichtet 1927 in seinem Buch: Die Schwarzwalduhr, "daß Uhren mit Musikwerken zuerst mit abgestimmten Glasglöckchen ausgestattet waren." Man kann sich vorstellen, was dabei an Musik heraus kam, wenn man bedenkt, daß es geradezu unmöglich war diese tonstufenmäßig abzustimmen. Das größte Problem war aber die Herstellung der Stiften-oder-Spielwalze als eigentlichen Träger des Musikstückes. Damit befaßte sich um 1768 der in Simonswald wohnende Johann Wehrle aus Neukirch. Neukirch liegt nahe bei Furtwangen und Gütenbach und zählt ebenfalls mit Gütenbach zu den Geburtsorten der Schwarzwälder Uhr. Man erzählte sich noch anfangs des zwanzigsten Jahrhundert wie Johann Wehrle jahrzehntelang grübelte, probierte und hungerte, bis ihn schließlich des Irrsinns tiefe Nacht umfing. Man erzählt sich auch, daß die Idee von Uhrenhändlern aus Holland an die Uhrmacher herangebracht wurde von den dort sehr beliebten Glockenspielen.
Wehrle hat wohl von solchen Musikwerken gehört, aber nie eines gesehen. Wußte er etwas von eingebauten Stiftenwalzen, oder kam er selbständig auf den Gedanken, die "Hebdaumenwalze" der Schwarzwälder "Ölstampfen" als Vorbild für den Bewegungsmechanismus der Glockenhämmerchen zu nehmen? Der Sohn des Johann Wehrle Christian ersetzte die gläsernen Glöckchen durch metallene, die leichter in der Tonhöhe herzustellen und abzustimmen waren. Verwendet wurden auch waagrecht gelagerte Stahlstäbe, und für den Schwarzwald besonders geeignet das hölzerne Klechter, wohl eine Art Xylophon das man früher hölzernes Gelächter hieß.
Wenn Christian Wehrle als erster auch Pfeifenwerke gebaut hat, wurde ihm dieser Ruhm von einem Salomon Scherzinger aus Furtwangen streitig gemacht, (nach 1770). Ein nächstes Problem war es nun, die erforderlichen Blasebälge und die Spielwalze anzutreiben, doch davon später. Vor allem aber machte die Walze viel Mühe. Gegenüber einzelner Stiften wie sie bei Uhren mit Schlaginstrumenten, Glocken, Saiten oder Holzstäben üblich waren, hätten diese bei Flöten nur kurze Pfiffe erzeugt. Wohl aber eigneten sie sich dazu, Vögel das Pfeifen von Liedchen und einfachen Melodien zu lehren oder sie wenigstens zu lebhaftem Schlagen und Zwitschern anzuregen. So entstanden zunächst die in keinerlei mit einem Zeitmesser in Verbindung stehenden Vogelorgeln, mit denen die Schwarzwälder bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhundert hinein handelten.
Andreas Dilger in Gütenbach 1743-1818 scheint sie als erster um 1780 gebaut zu haben. Er belegte wohl die dazu erforderliche Spielwalze nicht nur mit Stiften, sonder auch mit unterschiedlich langen Bügeln oder Klammern in gleicher Höhe, die nach der gewünschten Melodie auch längere Töne erzeugen konnten z.B. halbe oder ganze Notenwerte.
So war der Weg wohl nicht mehr weit, dieses Verfahren auf Flötenuhren- so nannte man die mit Orgelpfeifen ausgestatteten Musikuhren- anzuwenden. Die Idee dazu geht auf den oben erwähnten Andreas Dilger aus Gütenbach zurück. Doch es gab noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Die Spielwerke klapperten unerträglich, der Takt schwankte, und die Flöten waren nicht rein gestimmt. Hier, so die Geschichtsschreiber, überall abzuhelfen war nicht leicht. Weiter: Manches Geheimnis, das die Orgelbauer hüteten, mußte entschleiert werden, um den Pfeifen ihren harten schneidenden Ton zu nehmen, das mangelhafte Zusammenklingen zu beseitigen, gefällig schmeichelnde Musik und lieblichen Schmelz der Töne zu erreichen.
Was die Flötenuhren an Musikstücken "auf der Walze" hatten, war musikalisch meist wenig wert, die Verfertiger mußten sich dem Geschmack der Käufer anpassen. So wurden die Schwarzwälder Spieluhrenmacher in musikalischen Dingen von den Chorherren aus St. Märgen und St. Peter im Schwarzwald sehr gut beraten. So der Chorregent Philipp Jakob auf der technischen Seite, und der Chordirektor Petrus Daum auf der musikalischen Seite. Es war für die Schwarzwälder Spieluhrenbauer eine lehrreiche und erbauliche Zusammenarbeit mit den "Gebildeten beider Klöster", die übrigens auch bei Berechnungen normaler Uhren den Uhrmacher sehr gut beraten konnten.
Die gezeigten Abbildungen sind zum Teil Spieluhren Gütenbacher Flötenuhrenmacher, weshalb ich mir erlaube im weiteren auf diese stellvertretend für alle anderen ein wenig einzugehen.
Da nun wie erwähnt u.a. Gütenbacher Uhrmacher sich in das Abenteuer Flötenuhren stürzten, wollen wir auf diesen Ort eingehen, um auch ein wenig über die Verhältnisse dieser Zeit zu erzählen. Gütenbach ist heute ein Dorf mit ca. 1450 Einwohnern. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeichnete sich dort schon eine starke Tendenz zur Uhrmacherei in größerem Umfange ab, dessen Gründe man nicht erklären kann.
Wie kam es aber, daß gerade der von der Welt meist abgeschlossene, nur für sich lebende Schwarzwälder auf diesen Industriezweig verfiel und darin geradezu Erstaunliches leistete? Was war und was trieb er bisher? Bis zum Ende des 16.und 17. Jahrhundert lebte der Schwarzwälder ohne alle Industrie. Landwirtschaft und Viehzucht bildeten den Haupternährungszweig des Schwarzwälders. Er glaubte genug Kenntnisse zu besitzen, wenn er verstand seine Kühe zu melken und den spärlichen Hafer auf kargem Boden zu bauen.
Fast nie verließ er seine gebirgige Heimat. Unter allen Bewohnern des Landes hielt er am zähesten an der von den Väter vererbten einfachen Sitte und Kleidung. Unter seinem Kittel von Zwillich lag ein ebenso rauhes Hemd, das den Hals unbedeckt ließ oder etwa an Festtagen mit einem rauhen, schwarzen Flore geschmückt war, dessen Schleifen über den Rücken hinab hingen. Auf die Brust senkte sich ein langer Spitzbart. Gefaltete Beinkleider von schwarzen Zwillich und Strümpfe von weißer Leinwand, die sich in den Schuhen von Holz verloren, waren die Bestandteile der übrigen Kleidung.
Es war wohl auch die zwingende Armut der Bevölkerung, sich selbst einen Arbeitsplatz zu schaffen, zumal oft fünf bis sechs Söhne der kinderreichen Gütenbacher Bauersfamilien keine Zukunft hatten. Vor allem war es für diejenigen Männer die intelligent waren, sie in diesem Beruf geradezu ein Herausforderung sahen, und wie sich später herausstellte, es zum Teil zu Weltruhm brachten.
Um die Jahrhundertwende, also zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, hatte der Ort ca. 800 Einwohner, davon etwa 96 Uhrmacher, 61 Händler und weitere 24 Personen welche Nebenarbeiten für die Uhrmacher ausführten. So ist es nicht verwunderlich, daß gerade in "dieser Ecke" der Erfindergeist und der Drang etwas Neues und Besseres zu schaffen als nur Uhren für "das gewöhnliche Volk" beheimatet war. Viele Gütenbacher Uhrmacher gingen auf Wanderschaft in das nachbarliche Frankreich, um dort zu arbeiten, aber auch um neue Techniken zu sehen um diese in der Heimat anzuwenden. Vieles wurde so bei der Herstellung der einfachen "Schwarzwälder Holzuhr" verbessert und vereinfacht.
Alle Arbeiten wurden in der heimatlichen Wohnung ausgeführt, deren Wohnstube zugleich Werkstatt war. Allerdings hatte man für staubige oder schmutzige Arbeiten eine eigens dafür geeignete "Kammer". Die Herausforderung Spiel- oder Flötenuhren zu bauen, war wie bereits erwähnt mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden. Die Seele der Spieluhr sollte ja die Uhr als solche sein, als Zeitmesser und zugleich als Auslöser des Spielwerkes. Mehr aber konnte das Uhrwerk nicht leisten. Also mußte das Spielwerk ein eigenständiges Antriebswerk erhalten, im weitesten Sinne das, der erwähnten Vogelorgeln. Zwei Dinge mußte nun das Antriebswerk des Spielwerkes bewerkstelligen: das Bewegen der Spielwalze und die unbedingt erforderliche Kraft für den Blasebalg aufbringen. Das bedurfte eines Gewichtes von bis zu acht Kilo. Vorbild der Flötenuhr war sicher die Kirchenorgel, denn erst die Spieluhr war der Vorgänger späterer Drehorgeln bis zu immer größer werdenden Orchestrions. So mußte erst einmal der Meister gefunden werden, der gute Pfeifen herstellen konnte. Vermutlich waren es die Pfeifenmacher für Kuckucksuhren.
Beschreiben wir etwas die Zurichtung der Spielwalze. Das Musikstück wurde zuerst derart auf Papier übertragen, daß an den Stellen der in die Walze einzuschlagende Stifte Zeichen angebracht wurden, die gleichzeitig auch die Stifthöhe angaben. Ein Musikstück konnte also nicht länger sein als es der Umfang der Spielwalze zuließ. Eine Spielwalze mit 8 cm Durchmesser hatte gerademal eine Spielzeit von ca. zwanzig Sekunden. Um die Spielzeit zu verlängern, änderte man das Antriebswerk auf zwei Umläufe. Das hatte allerdings den Nachteil, daß das schwere Gewicht bei etwa drei Abspielungen am Boden war. Die Holzwalze- es gab besondere Walzenschreiner- wurde dann mit dem Papier beklebt und zum Benageln auf einen Schlitten gelegt. Durch Hammerschläge auf einen Stahlstempel, der ein zu starkes Eintreiben verhinderte, wurden die Stifte eingeschlagen, die man zuletzt noch richten und abrunden mußte. Bei Flötenwerken gehörte das Einschlagen von Klammern (für langgezogene Töne) zum Walzennageln, das meist durch Frauen besorgt wurde. Es hielt sich bis gegen 1890 als Heimarbeit und verschwand durch Aufkommen der Musikwerke, bei denen Saugluft durch geschlitzte Papierstreifen den Mechanismus auslöst. Der "Walzenschreiner" mußte ein besonders geschickter Schreiner sein. Waren die ersten Walzen noch aus Vollholz gedreht, zeigte sich, daß diese sich durch Temperaturunterschiede verzogen haben und dadurch Töne ausgefallen sind. Der Walzenschreiner fertigte deshalb hohle Walzen aus Pappel-, Erlen- oder Lindenholz mit vier Segmenten an. Es gab Walzen von 66 bis 210 mm Durchmesser.
Bei einer Stiftenwalze für nur ein Musikstück laufen die Stiftenreihen in ziemlichen Abständen nebeneinander um den Walzenkörper, immer die Töne ansprechend, welche für das Musikstück erforderlich war. Das legte den Gedanken nahe, den Raum besser auszunutzen. Die Walze wurde in Längsrichtung ein kleines Stück verschoben und bekam Raum für ein weiteres Musikstück. So ließen sich bis acht Stücke auf der Walze unterbringen. In der verlängerten Welle der Walze waren acht Einschnitte eingedreht, so wurde die Walze verschoben und an der gewünschten Stelle mit dem Spielsteller, ein, an einem Gestell sitzenden Blechriegel, festgehalten.
Außer dem erwähnten Andreas Dilger aus Gütenbach als Patriarch der Spieluhrenentwicklung, waren die Gebrüder Mathias 1771-1846 und Vinzenz Siedle 1767-1835 die sich als die vorzüglichsten Spieluhrenmacher des Schwarzwaldes auszeichneten. Sie brachten auch die Spielwerke auf den Höchststand an ruhigem Lauf, und weichen und schmeichelnden Tönen. Weitere Spieluhrenmacher in Gütenbach waren: Johann Kirner1763-1816, Georg Schwer geb. 1769, Augustin Heim geb. 1792 und Aron Siedle 1817-1845. Das Dorfmuseum in Gütenbach und der Autor dieses Berichtes ist in der glücklichen Lage, Flötenspieluhren von Augustin Heim, und Aron Siedle zu besitzen. Spieluhren zu erwerben war nur wohlbetuchten Leuten vorbehalten, dies vor allem im reichen Frankreich. Keiner konnte also eine Spieluhr, an der er einige Monate gearbeitet hatte, für sich selbst behalten. So bedurfte es bis einhundertfünzig Jahre, bis nicht nur Uhren gewöhnlicher Art, sondern auch Spieluhren, über den Antiquitätenhandel in ihre Heimat zurückkommen.
Das Dorfmuseum Gütenbach ist ganz stolz auf die Spieluhr des "Aron Siedle". Dieser war das siebte von dreizehn Kinder in der Familie des Vinzenz. Er wurde Bauer auf dem "Vogstgrundhof in Gütenbach", und übte wohl in den langen Wintern den Beruf des Spieluhrenmachers aus. Von ihm schreibt Pfarrer Josef Fischer in seiner Chronik über Aron Siedle: Es sei nicht selten zu sehen, daß ein "Wälder" tagelang über eine Idee nachdenke, ja selbst essen und schlafen vergesse, so haben wir dafür in unserem Heimatort Gütenbach ein Beispiel an dem "Aron Siedle", der eine ewig laufende Uhr erfinden wollte, sich aber dabei hinterdenkt, und dann alle Forschungsergebnisse im Kohlerwald vergraben haben soll.
Um noch kurz bei der Spieluhr zu bleiben. Als endlich die Vollkommenheit der Flötenuhren erreicht war, gaben die Schwarzwälder Tüftler nicht nach, diese Spielwerke noch mit allen möglichen technischen Dingen zu bereichern. Oben im Uhrenschild öffnete man eine Bühne auf der bis zu sechs Figuren tanzten, oder Musikanten ihre Instrumente spielten und sich im Rhythmus der Musik bewegten. Bis zu vierundvierzig Flöten hatte ein große Spieluhr mit zusätzlichen Registern für entsprechende Tonvarianten. Bei kleinen Exemplaren mit nur wenig kleinen hochtönigen Pfeifen, war in der Bühne ein großer Vogel angebracht, der die Musiktöne mit Schnabel- und- Flügelbewegungen synchron mitmachte.
Die Schwarzwälder Spieluhrenmacher bewegten mit ihren Werken eine beachtliche Entwicklung, die von der Herstellung von Drehorgeln bis zu Orchestrien in ihrer Region führte. Patriarchen waren vorrangig Martin Blessing, Zimmermannssohn und Knecht auf dem Sattelhof bei Andreas Dilger. In Furtwangen baute er Spieluhren und kleine Drehorgeln. Ein weiterer Spieluhrenmacher war Ignaz Bruder aus dem Simonswäldertal. Er nannte sich Zeit seines Lebens Spieluhrenmacher, war aber der Begründer der größten Orgelbaufirma in Waldkirch im Schwarzwald. Ein Besuch im dortigen Heimatmuseum wie auch im Museum für mechanische Instrumente in Bruchsal zeigen von der einmaligen Orgelbaukunst von Iganz Bruder.
Quelle: Adolf Kistner, "Die Schwarzwälder Uhr", 1927, Verlag Müller Karlsruhe
Nachdem schon ein herrliches Exemplar einer Spieluhr aus der Hand eines Cousins von Mathias, Aron Siedle, unser Museum schmückt, ist nun diese Spieluhr geradezu ein Höhepunkt, ein weiteres noch schöneres Werk unserer "Siedle´schen Uhrmacher". Zurecht dürfen wir uns gegenüber der "Uhrenstadt Furtwangen" "Uhrenort Gütenbach" nennen. Wir sind stolz auf die Arbeiten unserer Vorfahren und können diesen nun endlich unsere Hochachtung bekunden. Nur wenige Gemeinden sind wohl in der glücklichen Lage, bedingt durch den Wandel der Zeit, geschichtlich so wertvolle Exponate ihres Ortes in ihr vorhandenes Museum einverleiben zu können.
Mathias Siedle (geboren am 21.02.1770, gestorben am 31.08.1846) war das sechste Kind des "Mathä Siedle" ins "Klausebure Hisli" in Neukirch. Sein Lehrherr war kein Geringerer als Andreas Dilger, bekannt als einer der ersten Spieluhrenmacher im Schwarzwald. Durch diesen kam Mathias Siedle nach Gütenbach. Er war wohl ein sehr unternehmungslustiger Mensch, denn er kaufte dem Breiteck-Bauer für die enorme Summe von 2000 Gulden Grund und Boden ab, zur Erstellung eines Hauses, dazu Wiesen, Wald und Feld. Darauf baute er 1803/04 auf dem schönsten Berghang von Gütenbach mit dem Namen "Ameisenbühl" sein Haus, heute immer noch nach Barnabas Faller "Beckenbass" genannt. Täglich, ja stündlich, konnte er nun auf seine Gütenbacher "herunterschauen".
Mathias Siedle war gelernter Uhrmacher und nannte sich erst ab 1804, gerade zu dem Zeitpunkt als er sein Haus baute, "Spieluhrenmacher". In der gesamten Literatur über die Schwarzwälder Uhren jeglicher Art, ist der Name Mathias Siedle geradezu ein Aushängeschild von Gütenbach, denn er war der Spieluhrenmacher im Schwarzwald überhaupt. Das bestätigt ein Abschnitt in "Adolf Kistners" Buch von 1927 "Die Schwarzwälder Uhr", unter dem Thema "Anfänge des Flötenuhrenbaus":
"Dieser feine musikalische Geschmack wäre aber für diese Spielwerke unerreichbar geblieben, hätte nicht die Kunst, die Noten auf die Walzen zu stechen und die Pfeifen so rein zu stimmen, an den Uhrenmachern Mathias Siedle in Gütenbach und Martin Blessing in Furtwangen zwei Männer gefunden, welchen den Vorteil erlauschten, das sanft schleichende der spielenden Finger in die Stifte und das melodische Hauchende der Flöte in die Pfeifen zu legen. Auch die mechanische Einrichtung ihrer Spielwerke wußten sie so zu vervollkommnen, daß das Geklapper der Tasten und das Unsichere des Taktes in ihren Arbeiten verschwand".
Jeder Spieluhrenhersteller schrieb die Melodien, welche auf den Stiftenwalzen angebracht sind, auf ein Seitentüchen. Bei dieser Uhr steht zum Beginn zu lesen: Andante: "Kennst du das Land, worin Washington lebte". Da Mathias Siedle auch nach Amerika geliefert hat, könnte man hier wieder annehmen, daß die Uhr aus Amerika zurückgekommen ist. Die Inschrift über dem Zifferblatt kann man als eine Widmung deuten, sie lautet: Pulanski bewilligt die Hand der Lodoiska an Lovziniski. Naheliegender kann jedoch der Text einen Bezug zu der darunter gemalten Szene auf einer Theaterbühne haben.
Nach dem Todesjahr von Mathias zu schließen, ist "unsere Uhr" mindestens 160 Jahre alt. Es ist für unser Museum, aber auch für die ganze Gemeinde ein großes Ereignis, nun zwei Spieluhren aus der Familie Siedle betrachten und bewundern zu können. Die Geschicklichkeit und das Talent zum Spieluhrenbau übertrug Mathias auf zwei seiner Söhne, nämlich auf Sohn Nikolaus (geboren 1818) und Sohn Mathias (geboren 1821). Beide wanderten 1848 miteinander als "Spieluhrenmacher" in die USA und hielten sich 1881 in Pittsburgh/Pennsylvania auf. Perinsylvanien wurde gerade in der Zeit der Auswanderungen auch "Klein-Deutschland" genannt. Nahezu alle Deutschen gingen dort an Land, um sich dann Arbeit in ihrem Beruf zu suchen. Mathias jun. muß sich später in Pittsburgh als Uhrenhändler betätigt haben. Der zweite Sohn Constantin und der dritte Aloys wanderten als Handelsmänner nach Mexiko aus und hielten sich in Vera Cruz auf. Aloys kehrte wieder zurück, Constantin verstarb vermutlich dort. Aloys Siedle baute übrigens in Gütenbach das "Schlössle". Ihm ist auch die "Siedle´sche Stiftung" zu verdanken, wodurch das spätere "Erholungsheim" zustande kam. Leider ist uns diese Familie Siedle und deren Geschichte durch den Wandel der Zeit verloren gegangen. Nun ist gerade ein Relikt aus dieser Familie in Form einer Spieluhr wieder in die Heimat zurückgekehrt.
Technische Daten der Flötenspieluhr:
- vier bewegliche Figuren
- 48 Pfeifen und zwei Register
- acht Tage gehendes Uhrwerk
- Alter der Uhr, ca. 160 Jahre